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Sonn- und Feiertagsarbeit im Call Center: Der aktuelle Stand

 – Dirk Egelseer

Über die Auswirkungen des aktuellen Verbots gegen Sonn- und Feiertagsarbeit in deutschen Call Centern sprachen wir mit Dirk Egelseer, Vorstand Recht & Regulierung im Call Center Verband Deutschland (CCV) e. V.

CallCenterProfi: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Ende November 2014 mit dem Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung in Hessen hat die Call- und Contact Center-Branche stark getroffen. Steht die Sonn- und Feiertagsbeschäftigung in ganz Deutschland auf dem Spiel?“
Egelseer: Kurz gesagt: Ja. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat Auswirkungen auf alle entsprechenden landesrechtlichen Regelungen, den so genannten Bedarf- oder Bedürfnisgewerbeverordnungen. Hintergrund ist, dass die in Hessen aufgehobene Verordnung in jedem Bundesland fast wortidentisch und damit ebenfalls rechtswidrig ist. Die Richter des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts entscheiden hauptsächlich über kirchenrechtliche Fragen. Dieser Umstand scheint für die Entscheidung maßgeblich gewesen zu sein.

CallCenterProfi: Was bedeutet das konkret für ein Call Center beispielsweise in Thüringen?
Egelseer: Vorerst besteht für alle Unternehmen, die Call Center-Dienstleistungen anbieten, noch bis Jahresende Rechtssicherheit. Gewerkschaften und Kirchen können gegen die gleichlautende Regelung in Thüringen oder in anderen Bundesländern nicht klagen, weil die Klagefristen bereits verstrichen sind. Einzelne Arbeitnehmer könnten aber noch gegen eine Beschäftigung am Sonntag klagen und eine Entscheidung erzielen, die nur für sie selbst gilt. Bislang hat aber noch niemand Gebrauch davon gemacht, weil alle Landesgesetzgeber signalisiert haben, dass bis zum Jahresende die derzeitige Rechtslage geändert werden soll. Unabhängig vom Urteil können aber Notfall-Hotlines nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) weiter tätig sein.

CallCenterProfi: Wird eine neue Vorschrift künftig bundesweit die Sonntagsarbeit verbieten?
Egelseer: Das wäre eine fatale Entscheidung des Gesetzgebers. Damit würde sich die „Servicewüste Deutschland“ vergrößern und die gesamte Branche großen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Der CCV setzt sich seit der Urteilsverkündung für den Erhalt der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung ein. Wir führen intensive Gespräche mit den Zuständigen im Bundesarbeitsministerium und in den Landesarbeitsministerien. Der Kontakt zum Landesausschuss für Arbeitssicherheit (LASI), der bis zur Arbeitsministerkonferenz im November 2015 einen Entwurf für eine künftige Neuregelung erarbeitet, ist ebenfalls sehr gut. Fakt ist, dass die zuständige Projektgruppe grundsätzlich gewillt ist, die Sonntagsarbeit für unsere Branche beizubehalten. Die Frage ist nur, in welchem Umfang.

CallCenterProfi: Das hört sich alles vielversprechend an. Was aber unternimmt der CCV konkret?
Egelseer: Der Verband hat sich frühzeitig positioniert und mit den Mitgliedern das Arbeitskreises Recht & Regulierung das Positionspapier „Kundenservice ist ein Bedürfnis der Bevölkerung“ erarbeitet, in dem wir vom Gesetzgeber eine rechtssichere, bundeseinheitliche Lösung fordern. Konkret soll die Sonn- und Feiertagsarbeit für unsere Branche im Bundesarbeitszeitgesetz oder mittels einer Rechtsverordnung des Bundes geregelt werden. Meinungsbildung und Positionierung sind ein wesentlicher Bestandteil der Interessenvertretung beziehungsweise Lobbyarbeit. Konkret hat der Verband mehr als sechs Termine wahrgenommen, acht Pressemitteilungen veröffentlicht, zwei Stellungnahmen abgegeben und unzählige Telefonate und Telefonkonferenzen geführt. Derzeit arbeiten wir an einer Faktensammlung, die dem Gesetz geber die Gründe für den Erhalt der Sonntagsarbeit aufzeigt.

CallCenterProfi: Der CCV hatte zu Jahresbeginn zur Teilnahme an Studien zur Sonntagsarbeit aufgerufen und müsste dementsprechend aussagefähig sein. Wie sieht es in der Branche genau aus?
Egelseer: Die Situation ist sehr unterschiedlich zu bewerten. Vor dem Urteil hat sich niemand im Detail mit dieser Thematik befasst. Fest steht, dass etwa 75 Prozent der gesamten Branche betroffen sind. In Arbeitnehmerzahlen ausgedrückt sind das an die 240.000 Arbeitsplätze, die auf dem Spiel stehen. In erster Linie ist der Versandhandel, gefolgt von Versicherungen, Banken, Telekommunikations- und Kabelnetzanbietern, dem Hotel- und Reisegewerbe sowie Energieversorgern betroffen. Unser Verbandsmitglied Verint Systems GmbH hat uns bei der Befragung von Verbrauchern und Unternehmen tatkräftig unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar! Die Studie belegt, dass sich die angebotenen und nachgefragten Serviceleistungen mit 57,9 Prozent überwiegend auf technische Support- und Unterstützungsleistungen verteilen. Notfalldienste und Bestellannahmen stehen mit 37,2 beziehungsweise 35,9 Prozent an zweiter und dritter Stelle. Durch das Urteil ist besonders der Versandhandel betroffen. Die Entgegennahme von Aufträgen, eine Auskunftserteilung und die Beratung per Telefon würden beim Verbot der Sonntagsarbeit nicht mehr möglich sein. Dies betrifft insbesondere die Annahme von Bestellungen. Die Branche bietet sonntags aber auch Serviceleistungen in Form von Telefonbanking, Rechnungsauskünften, Störungsmeldungen, Vertragsänderungen oder den Abschluss von Neuverträgen, vor allem im Bereich Mobilfunk und Festnetz, an. Aber auch international agierende Unternehmen könnten bei einem flächendeckenden Verbot keinen 24/7-Service mehr anbieten.

CallCenterProfi: Die perfekte Lösung wäre doch, Bestellannahmen komplett ins Internet zu verlagern, um weiterhin sonntags Kundenbestellungen entgegenzunehmen.
Egelseer: Nach dem Grundgesetz ist jegliche Sonn- und Feiertagsarbeit verboten. Das Urteil betrifft somit leider auch die Bearbeitung von Bestellungen per E-Mail, Webchat, Kontaktformular oder soziale Medien. Die Bedarfs- beziehungsweise Bedürfnisgewerbeverordnungen der Länder subsumieren das Internet unter die „Entgegennahme von Aufträgen mittels elektronischer Medien“. Eine Verlagerung ins Internet ist damit ausgeschlossen. Der Branche droht damit ein erheblicher Wettbewerbsnachteil. Andere Länder in Mittel- und Osteuropa mit deutschsprachigem Bevölkerungsanteil bieten bereits heute Call Center-Dienstleistungen an. In einem Großteil dieser Länder besteht zudem kein ausdrückliches Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe oder es sind weitreichende Ausnahmeregelungen möglich. So kann der Arbeitnehmer entweder der Sonntagsarbeit zustimmen oder einen Wochentag als Ausgleichstag wählen. Das sind Ausnahmen, die in Deutschland weder zulässig noch denkbar sind.

CallCenterProfi: Was wäre, wenn nur Aufträge ins Ausland verlagert würden und der Großteil der Dienstleistung in Deutschland verbleibt?
Egelseer: Die denkbare Auslagerung von Sonntagsaufträgen hätte zur Folge, dass aufgrund des erforderlichen Organisationsaufwandes und möglicher Kosteneinsparungen der gesamte Auftrag oder zumindest größere Auftragsteile ebenfalls ins Ausland verlagert werden. Das größte Einsparpotenzial stellt der Personalkostenbereich dar. Deutsche Arbeitnehmer erhielten im Jahr 2012 einen durchschnittlichen Monatslohn in Höhe von 1.758 Euro. Wie der „European Contact Centre Benchmark 2012“ gezeigt hat, erhalten Beschäftigte insbesondere in osteuropäischen Ländern ein wesentlich geringeres Gehalt (etwa in Ungarn monatlich 900 Euro, in Bulgarien monatlich 300 Euro). Der deutsche Markt würde langfristig zusammenbrechen.

CallCenterProfi: Wie hoch schätzen Sie den Schaden für die betroffenen Unternehmen ein?
Egelseer: Stichproben in unserem Mitgliederkreis haben ergeben, dass ungefähr 25 Prozent in deutschen Call und Contact Centern des Jahresumsatzes an Sonntagen erfolgt. Die Umsatzeinbußen stellen in diesem Zusammenhang aber nur die direkten Verluste dar. Hinzu kommen entgangene Gewinne bei Auftraggebern durch die entgangene Erbringung der Call Center-Dienstleistung an Sonn- und Feiertagen. Stellen Sie sich vor, ein Kaufhaus wäre geöffnet, aber gleichzeitig würden die Kassierer nicht arbeiten dürfen. Der Umsatz des Kaufhauses würde zusammenbrechen. Auf den ersten Blick sind die Auswirkungen also relativ überschaubar, betrachtet man sie allerdings genauer, sind sie allerdings sehr groß. Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind betroffen. Unsere Umfrage ergab, dass etwa 75 Prozent der Beschäftigten an Sonn- und Feiertagen besondere Gehaltszuschläge erhalten. Bei fast der Hälfte (45,5 Prozent) beträgt der Zuschlag 25 bis 50 Prozent des Stundenlohns und bei 20,9 Prozent sogar mehr als die Hälfte des üblichen Stundenlohns. Ein Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung würde sich zudem direkt gegen bestehende Teilzeitarbeitsmodelle, insbesondere in einkommensschwachen Familien, wenden und zerstört etablierte Arbeitszeitmodelle in der Branche. Überwiegend Teilzeitmitarbeiter sind am Wochenende sowie an Feiertagen tätig. Der Partner oder die Partnerin kann an diesen Tagen die Kinderbetreuung übernehmen. Teilzeitmitarbeiter stellen den größten Teil der insgesamt betroffenen Beschäftigten dar. Gewerkschaften sollten daher gewillt sein, unsere Verbandsforderung zur Beibehaltung der Sonn- und Feiertagsarbeit zu unterstützen.

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