CallCenter Profi

Interview zum Thema Krisenmanagement: Vorbereitung ist die halbe Miete

 – Alexander Jünger

Über das Thema Krisenmanagement, Krisenbewältigung und ob man sich überhaupt richtig auf Krisensituationen vorbereiten kann, sprachen wir mit Manfred Stockmann, Berater, Coach und Ehrenpräsident des Customer Service & Call Center Verbands Deutschland e. V.

CallCenterProfi: Hand aufs Herz. Wir alle wissen, dass das Service Business eine sehr komplexe Angelegenheit ist und dass Kundenanliegen auch mit Krisen einhergehen. Warum tun wir uns so schwer, uns auf parallellaufende externe Krisenwellen vorzubereiten?

Manfred Stockmann: Ja, das liegt in der menschlichen Natur, dass wir gerne unangenehme Sachen vor uns hinschieben und versuchen, sie auszublenden. Jeder hat das für sich in anderen Lebensbereichen, selbst so mancher wohl organisierte Manager will oder kann im Privaten dann nicht auch noch überall perfekt funktionieren.

CallCenterProfi: Seit Jahren sind wir nun im Krisenmodus. Wie sehen Sie das?

Manfred Stockmann: Ein Thema ist für mich auch die Begriffsklärung „Was ist überhaupt eine Krise?“ (Siehe auch Infokasten rechts.) Bevor wir das tun, zitiere ich gerne Professor Dr. Heike Bruch, Direktorin vom Institut für Führung und Personalmanagement (IFPM) der Universität St. Gallen. Sie hat Ende 2017 auf einer Veranstaltung schon gesagt: „Stellen Sie sich darauf ein, dass heute der langsamste Tag sein wird, den Sie in der Entwicklung Ihres Unternehmens erlebt haben. Ab jetzt wird alles schneller.“

Ist denn alles, was wir jetzt erleben, wirklich eine Krise? Oder ist vieles davon nicht eine Abfolge parallel ablaufender großer Themen? Seit etwa zwanzig Jahren erleben wir Digitalisierung. Künstliche Intelligenz (KI) ist auch kein absolut neues Thema, auch wenn selbst Insider es sich nicht vorstellen konnten, wie schnell sich das in den vergangenen zwölf Monaten entwickelt hat. Auch das Thema Demografie ist seit über 20 Jahren bekannt: „Oh, wir bekommen Fachkräftemangel, nicht mehr so viele Leute, oh, so viele Junge kommen gar nicht nach.“ Das sind keine Krisen! Das sind absehbare Entwicklungen. Und selbst beim Thema Covid haben Experten bereits vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie hoch ist.

CallCenterProfi: Gibt es dazu ein Beispiel aus Ihrer Beratung?

Manfred Stockmann: Ein deutsches Automotive Zuliefer-Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitern, ein Entwicklungszentrum auch in den USA, eine kleine Niederlassung im asiatischen Bereich, setzt sich alle zwei Jahre mit dem Thema Krise auseinander und nimmt sich das aktiv vor. Der Bereich Risk Management fragt sich: Wodurch könnte unser Geschäftsbetrieb gefährdet, angegriffen oder abgelöst werden? Sie gehen dann in die Tiefe: Was bedeutet das unter anderem für unsere Dienstleistung, Produkte, Prozesse und Technologie?

In einem Workshop im Herbst 2019 waren zwei hoch wahrscheinliche Szenarien herausgearbeitet worden: Pandemie und Cyber-Attacke. Letzteres einerseits innerhalb ihrer Organisation oder auch in dem Auto, in dem die Teile verbaut werden – wo kann gehackt werden, zum Beispiel bei der Aktualisierung aus dem Netz.

Für Krisensituation wird eine eigene Krisenorganisationsstruktur samt einem dazugehörigen Handbuch aufgesetzt: Das sind normalerweise nicht die Vorstandsmitglieder oder die Geschäftsleitung, sondern die Mitglieder rekrutieren sich aus der zweiten Ebene. Aus Ressort- oder Projektmanagern werden Krisenmanager. Sie greifen dann auf eine vorbereitete Krisenstruktur zurück und werden dafür speziell ausgebildet. In dem Workshop wurde die Cyber-Attacke als wahrscheinlicher angenommen, weil es in der Branche auch eher hinter den Kulissen mehr Angriffe gibt. 

Die Firma führte dann eine Übung zu dem Thema durch, ein richtiges zweitägiges Planspiel, ohne dass das Tagesgeschäft zum Erliegen kam. Die Kommunikations- und Berichtsstrukturen werden für intern, das ist dann auch für Call Center interessant, und extern vorbereitet. Denn es geht um B-to-B, Endkunden des Automobilherstellers, Stakeholder und auch die Börse.

Krisen können durch Naturereignisse wie Tsunamis oder Tornados ausgelöst werden oder durch Taten von Personen. Das sind Terroranschläge oder Cyber-Attacken. Naturereignisse können von Menschen auch verschlimmert werden. Das wäre zum Beispiel ein Chemiewerk, das auf einer tektonischen Platte oder im Einzugsgebiet regelmäßig aufkommender Hurricanes gebaut wurde. Oder Taten von Personen, die durch die Natur verschlimmert werden, wie die radioaktive Wolke nach der Explosion des Atommeilers in Tschernobyl.

Natürlich gibt es auch vom Menschen verursachte und durch ihn verschlimmerte Ereignisse, weil ein Ereignis zu lange unterdrückt und verschwiegen wird, und es sich dadurch anders entwickelt und erst zur Krise wird, als wenn man von Anfang an offen kommuniziert hätte. In all dem gibt es Unterkategorien, die durchgedacht werden müssen. Risikoszenarien bauen darauf auf: Was könnte uns betreffen, wie könnten wir uns schützen? Ist die Zielsetzung die präventive Abwehr oder die Schadensminimierung? Wo können wir eine Schicht von mehreren Schutzwällen aufbauen und die Zeit des Aufhaltens intern nutzen? Wo können wir frühzeitig ab- oder gegenhalten, wie damit umgehen und wo möglicherweise schon in die Heilung gehen?

CallCenterProfi: Was raten Sie grundsätzlich den Führungskräften?

Manfred Stockmann: Der Aufwand und die Kosten der Vorbereitung auf eine Krise sind es wert. Sich einen im Krisenmanagement erfahrenen externen Berater zu holen, ist gut, weil so persönliche Befindlichkeiten oder politische Spielchen vermieden werden und der Fokus von Beginn an auf die Kernpunkte gelegt wird. Und: Bereiten Sie sich auf eine nächste Pandemie vor, sie wird in den nächsten Jahren erneut kommen – es wird zum Beispiel viel experimentiert, um gegen Gegenmittel für Viren herzustellen. Sie machen doch auch Feuerwehr-Übungen, gönnen Sie sich auch Krisen-Übungen.

Wappnen Sie sich also für Komplexität und damit auch, diese kommunikativ zu vermitteln. Gerade mehrdimensionale Herausforderungen brauchen verschiedene Strategien auf mehreren Ebenen. Wie bei einem Multipendel in der Chaos-Theorie wissen wir im komplexen Miteinander dann nicht mehr, welche A–B-Strategie mit welchen Folgen auf die andere Ebene einwirken wird. Machen Sie sich fit für Entscheidungsfähigkeit unter Unsicherheit!

CallCenterProfi: Welchen Rat geben Sie Ihren Kunden immer noch mit?

Manfred Stockmann: Was wir gerade in Contact Centern brauchen, ist eine Unternehmenskultur der Kommunikation. Dazu gehören auch eine Fehlerkultur und die Bereitschaft, Wissens-Silos aufzugeben. Das entwickelt sich dann zu einer Lernkultur mit Offenheit und Willen zur Kommunikation untereinander. Wir reden auch oft von Schnittstellen. Schnitte tun aber weh. Es geht also um Verbindungsstellen. Überprüfen Sie Ihre Unternehmenssprache – denn das Denken und Sprechen prägt schließlich das Handeln. Denken Sie an Max Frisch, der sagte: „Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Wir müssen ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Lassen wir Erkenntnisräume zu oder umkreisen wir gekonnt den „Elephant in the room?“ Es geht somit um Transparenz, Offenheit und Vertrauen. Ich mache Mut, Verantwortlichkeiten zu leben und dann diese auch umsetzen zu lassen.

Führungskräften rate ich, nach sich selbst zu schauen, Resilienz zu erhalten oder wieder aufzubauen. Ein wohlwollendes Netzwerk braucht jeder, um gut für sich und andere Fürsorge tragen zu können. Das gilt es im Privaten zu pflegen, um in der Firma stabil zu sein.

Und fürs Agieren im Contact Center weise ich auf den Faktor Mensch hin. Wir neigen gerade in größeren Unternehmensstrukturen dazu, ständig Personalwechsel speziell in Führungsebenen vorzunehmen oder umzustrukturieren. Derweil braucht es drei bis vier Jahre, bis tiefes Vertrauen geschaffen ist, Prozesse bekannt sind, gut laufen und Verantwortlichkeiten stabil sind. Leider braucht es nur wenige Wochen, eben das wieder zu zerstören. Pflegen Sie daher Ihr Team gut, bezahlen Sie es fair und schauen Sie nach deren Gesundheit. 

CallCenterProfi: Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Stockmann!

Das Interview führte Ulrike Propach, freie Journalistin.

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Mehr zum Thema Krisenkommunikation lesen Sie in Ausgabe II-2024 des Fachmagazins CallCenterProfi im Beitrag "Krisenkommunikation: Alles wird gut!"

Bereits im Frühsommer 2016 - lange vor Corona - veröffentlichte CallCenterProfi den Beitrag "Krisenkommunikation: Kein Raum für Spekulationen". Egal ob Rückruf bei Produkten oder Unglücksfall, viel hängt in diesen Situationen vom richtigen Umgang mit Fakten und Emotionen ab. Denn wenn sich zum Krisenfall eine mangelhafte Krisenkommunikation gesellt, dann sind nicht nur die Reputation, sondern auch der kurzfristige Ertrag in Gefahr.

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