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Customer First im Kundenservice: Herausforderung und Chance zugleich und heute mehr denn je

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Es gibt kaum ein Unternehmen, das in seinen Werteversprechen nicht an irgendeiner Stelle postuliert, der Kunde stehe im Mittelpunkt des täglichen Handelns. Doch was bedeutet dieses Versprechen konkret? Im Allgemeinen und für den Kundenservice im Besonderen? Wie können Ideen generiert und Vorgehensweisen erarbeitet werden, um dieses Versprechen umzusetzen? Welchen Beitrag leistet die Digitalisierung? Ist die Umsetzung des Customer First-Ansatzes teuer? Einige Antworten auf diese Fragen, vor allem aber Ansätze zu ihrer Beantwortung, liefert dieser Beitrag.

Präsentationen, Papier und sonstige Alibis
Wer im Bereich der Digitalisierung unterwegs ist, ob im Kontext Kundenservice oder allgemein, kommt nicht umhin, ab und an einen der zahlreichen Kongresse zu besuchen, die branchenübergreifend oder branchenspezifisch zu diesem Thema angeboten werden. Fast gebetsmühlenartig wird dort wiederholt, man müsse den Kunden in den Mittelpunkt stellen und es wird fleißig über die optimale Customer Journey oder die optimale Customer Experience referiert. Projekte zu diesen Themen sind längst aufgesetzt und es wird auch von diversen Erfolgen berichtet. Einige Firmen haben sogar „Digitalableger“ gegründet, bei denen man mit wenigen Klicks, so wird es versprochen, seine Bedürfnisse befriedigen und eine richtig tolle Customer Experience erleben kann. Es scheint also, dass Artikel wie dieser nun wirklich komplett überflüssig sind.

Warum nur, stellt sich die Frage, sind die Kunden dann immer noch nicht wirklich zufrieden? Zwar lassen die beiden Capgemini-Studien „Voice of the Customer Survey 2018“ und „Financial Services Analysis 2018“ durchaus positive Trends erkennen, sehen aber ebenso noch einiges an Verbesserungspotenzial. Dies deckt sich mit Erfahrungen, die der Autor selbst in seiner Rolle als ganz normaler Verbraucher und Bürger tagtäglich sammelt.

Um es greifbarer zu machen, sei exemplarisch ein Serviceerlebnis geschildert, das der Autor erst vor wenigen Wochen selbst erfahren musste: Der Autor ist begeisterter Camper und hat in diesem Jahr seinen Wohnanhänger gegen ein neueres Modell eingetauscht. Das neue Modell sollte nun wieder beim gleichen Versicherer versichert werden wie das alte. Die meisten von Ihnen werden jetzt vermutlich die gleiche Erwartung haben wie der Autor: Man übermittle per Online-Formular, Telefon oder E-Mail Name und Kontaktdaten oder, wenn zufällig parat, die Versicherungsnummer zur Identifikation sowie die neuen Fahrzeugdaten. Spätestens eine halbe Stunde später kommt auf elektronischem Weg das neue Angebot inklusive der EVB und nach einer Stunde ist die Sache erledigt. Ok, nicht zwingend an einem Sonntag, aber definitiv an einem Samstag, denn an diesem Tag hat Otto Normalbürger Zeit, sich um solche Aufgaben zu kümmern. So viel zur Kundenerwartung, mit der der Autor, wie Umfragen zeigen, nicht ganz alleine ist. Ohne nun weiter ins Detail zu gehen: Am Ende bedurfte es eines abgebrochenen Versuchs einer Online-Beantragung, mehrerer Telefonanrufe sowie mehrerer Anläufe für die Erstellung des passenden Angebots bis die Versicherung genau so war wie die Vorversicherung. In Summe dauerte es rund anderthalb Tage Zeit bis das Thema erledigt war. Des bisherigen Versicherers Rettung war der beim finalen Angebot günstige Preis, kombiniert mit der Tatsache, dass auch der Wettbewerb keine wesentlich bessere Customer Experience bieten konnte.

Sollten Sie nun zum Schluss kommen, das derartiges in Ihrem Unternehmen längst ausgeschlossen ist, dann arbeiten Sie in einem der noch viel zu wenigen Unternehmen, die ihre Kunden bereits ausreichend gut kennen und die die Klaviatur einer wirklichen „Customer First Experience“ bereits beherrschen. Auf weitere negative Beispiele wird an dieser Stelle verzichtet, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit, fällt dem Leser selbst die eine oder andere Situation aus seinem eigenen täglichen Erleben ein. Gerade weil dem so ist, stellt sich die Frage, weshalb es so schwer ist, dies ein für alle Mal zu ändern.

Augen und Ohren auf - Customer First bedeutet Verstehen
Customer First bedeutet mit wenigen Worten definiert, dass die Produkte und/oder Dienstleistungen eines Unternehmens sich in erster Linie an den Bedürfnissen des Kunden orientieren. So weit, so bekannt. Thematisiert und gepredigt wird dies in der Tat schon lange Zeit. Wie die geschilderten Erlebnisse, Studien und unzählige Einträge in den sozialen Medien zeigen, funktioniert die Umsetzung aber auch im Jahr 2018 nur bedingt, bisweilen auch überhaupt nicht. Trotz aller Beteuerungen der meisten Unternehmen, dass sie selbstverständlich ihre Produkte und Dienstleistungen und insbesondere den Kundenservice an den Bedürfnissen des Kunden ausrichten.

Die hoffentlich unstrittige Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen sein Wirken an den Bedürfnissen seiner Kunden ausrichten kann, ist, dass das Unternehmen seine Kunden versteht. Genau an diesem Punkt scheint es aber noch die ein oder andere Schwierigkeit zu geben: Eine Studie der Pegasystems offenbart beispielsweise für die Telco-Branche, dass 64 Prozent der Unternehmen glauben, ihre Kunden zu verstehen. Sie offenbart aber auch, dass weniger als ein Viertel der Kunden dieser Einschätzung zustimmen und immerhin jeder fünfte Kunde sogar der Meinung ist, dass sein Anbieter ihn ganz und gar nicht versteht. Eine andere Erkenntnis der Studie, die durchaus auf andere Branchen übertragbar sein dürfte, lautet, dass 38 Prozent der befragten Verbraucher eine hohe Wahrscheinlichkeit angeben, innerhalb der kommenden zwölf Monate ihren Anbieter zu wechseln. Dem gegenüber steht die Erwartung der Unternehmen, die durchschnittlich mit nur 17 Prozent Abwanderungsquote rechnen.

Seine Kunden zu verstehen, ist also ganz offensichtlich nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Diese Erkenntnis rückt bei vielen Unternehmen immer mehr ins Bewusstsein. Denn Methoden wie Design Thinking oder Voice of the Customer sind heute den meisten Unternehmen bekannt und viele haben damit begonnen sie anzuwenden oder zumindest auszuprobieren. Nicht selten, so zeigt es der Beratungsalltag, werden die Methoden aber dahingehend „optimiert“, dass direkte Befragung oder Beobachtung des Kunden in seinem Alltag, oft aus Zeit- und Effizienzgründen, ausgelassen wird. Auch verzichtet mancher auf das iterative Prototyping und Testen beim Design Thinking. Es soll nun nicht so weit gegangen werden, dass dadurch der Erfolg der Methoden komplett zunichte gemacht wird, aber er wird doch deutlich geschmälert. So wahnsinnig neu scheinen die einzelnen Prozessschritte beim Design Thinking und anderen, ähnlichen Methoden erst einmal nicht. Schnell ist deshalb gesagt, dass man dies ja in Teilen schon einige Jahre mit Erfolg praktiziere. Und in der Tat ist es ja auch nicht so, dass alles Bisherige komplett erfolglos wäre. Aber so banal einleuchtend und lange bekannt die beispielsweise beim Design Thinking definierten Prozessschritte auch erscheinen mögen, so wohldefiniert und wissenschaftlich fundiert sind sie gestaltet und angeordnet. Dies einerseits, um die Untiefen der menschlichen Psychologie unserer Kunden beim Verstehen und Beobachten zu umschiffen und somit ehrlichere Antworten zu erhalten. Andererseits aber auch, um das kreative Potenzial von Teams zur vollen Entfaltung zu bringen. Insofern lohnt eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit den Methoden. Eine Modifikation im Sinne einer weglassenden „Optimierung“ sollte nur vornehmen, wer die Methoden wirklich genau kennt und somit die Konsequenzen seiner Modifikation auch exakt abschätzen kann.

Im Gegensatz dazu spricht wenig dagegen, die Methoden zu ergänzen und miteinander zu kombinieren. Im Rahmen einer Studienarbeit bei einem großen deutschen Elektrowerkzeuge-Hersteller konnte gezeigt werden, dass eine gelungene Orchestrierung von Methoden und Vorgehensweisen rund um Design Thinking dazu geeignet ist, die Effektivität der Kernmethode nochmals deutlich zu steigern. Speziell für den Kundenservice ist der Einsatz von Personas und oder Empathy Maps im Rahmen von Design Thinking hilfreich. Bei den Empathy Maps sind dabei auch situative Varianten sinnvoll, die die Bereiche der Empathy Map für eine ganz spezielle Servicesituation des Kunden beantworten.

 

Über diese Anstrengungen hinaus, können durch intelligente Analyse der Nutzungsdaten von Websites und Portalen weitere wertvolle Informationen über das Verhalten, aber auch über die Stimmungslage der Kunden und Interessenten gewonnen werden, wie bereits im ersten Artikel dieser Artikelreihe ausgeführt.

Weg mit alten Zöpfen - Customer First bedeutet entschlossenes Verändern
Den Kunden zu verstehen ist das eine. Aber es ist nur die halbe Miete. Produkte und Dienstleistungen im Allgemeinen und den Kundenservice im Besonderen wirklich an den Wünschen und Bedürfnissen seiner Kunden auszurichten, erfordert neben einem exzellenten Kundenverständnis auch ein hohes Maß an Entschlossenheit und Veränderungsbereitschaft. Die beliebten Gegenreden „das gibt aber unser IT-System nicht her“ oder „das gibt unser Prozess aber nicht her“ gelten dann nämlich nicht mehr! Genauso wenig wie der Einwurf „das bringt hier alles komplett durcheinander“. Ohne Frage: Diese Aussagen mögen oft sogar der Wahrheit entsprechen. Genau so wahr ist aber auch, dass es Wettbewerber gibt, deren IT-Systeme und Prozesse genau das hergeben, was notwendig wäre. Oder deren Management entschlossen genug ist, alte Zöpfe abzuschneiden und eine entsprechende Anpassung der IT-Systeme oder Prozesse einfach durchzusetzen. Also ganz bewusst alles komplett durcheinander zu bringen.

Jeff Bezos, Gründer und CEO von amazon.com, hat bereits einige Beispiele für solche Entschlossenheit geliefert (wem Amazon jetzt zu oft als Beispiel in einem Artikel genannt ist, dem sei empfohlen, einfach zum nächsten, vielleicht überraschenderen Abschnitt zu springen). Die schon des Öfteren von anderen Autoren zitierte Mail von Bezos an seine Mitarbeiter aus den frühen 2000ern ist wahrscheinlich eines der bekanntesten Beispiele. Auch auf die Gefahr hin, beim einen oder anderen Leser, der nicht zum nächsten Abschnitt gesprungen ist, Gähnen auszulösen, sei der überlieferte, etwaige Inhalt hier nochmals zitiert:

  1. All teams will henceforth expose their data and functionality through service interfaces.
  2. Teams must communicate with each other through these interfaces.
  3. There will be no other form of interprocess communication allowed: no direct linking, no direct reads of another team's data store, no shared-memory model, no back-doors whatsoever. The only communication allowed is via service interface calls over the network.
  4. It doesn't matter what technology they use. HTTP, Corba, Pubsub, custom protocols -- doesn't matter. Bezos doesn't care.
  5. All service interfaces, without exception, must be designed from the ground up to be externalizable. That is to say, the team must plan and design to be able to expose the interface to developers in the outside world. No exceptions.
  6. Anyone who doesn't do this will be fired.
  7. Thank you; have a nice day!

Der Erfolg gibt Jeff Bezos Recht. Nicht nur, dass Amazon reichlich Gewinne schreibt, auch beim Kundenservice wird Amazon sehr gut bewertet. So bescheinigt eine Umfrage aus 2016, dass stolze 88 Prozent der Amazon-Kunden mit dem Kundenservice „sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“ sind. Aber nicht nur amerikanische Unternehmen beherrschen perfekten Kundenservice. Das geht auch in Deutschland. Nur ist dies viel zu wenig bekannt.

Customer First geht auch in Deutschland und ist nicht zwingend teuer
„Zooplus hängt Amazon bei den beliebtesten Onlinehändlern ab“ ist die Überschrift eines Artikels im Handelsblatt vom 12. April dieses Jahres zu lesen. Und nicht nur Zooplus landet in der im Artikel zitierten Kundenzufriedenheitsumfrage des E-Commerce-Beratungsunternehmens ECC vor Amazon, sondern noch zwei weitere Firmen. Der Homeshopping-Sender QVC und das Musikhaus Thomann. Letzteres ist ein Paradebeispiel dafür, wie hilfreich es ist, seine Kunden wirklich zu kennen und zu verstehen. Denn Thomann heimst Top-Zufriedenheitswerte ein, obwohl der Musikalienhändler manches, was bei diesen Ergebnissen vordergründig erwartet würde, gar nicht bietet. So gibt es zum Beispiel keinen 24x7 (Telefon-) Service und auch kein „Fancy Gimmick“ wie einen Chatbot. Bei der Zielgruppe „Musiker“ schmälert diese Tatsache die Kundenzufriedenheit aber offenbar nicht wesentlich. Dafür gibt es beispielsweise eine 30-Tage-Geld-zurück-Garantie und somit für Musiker eine mehr als angemessen lange Frist, die bestellte Ware ausgiebig zu testen. Musik wird in der Freizeit gemacht, die nicht immer üppig bemessen ist und ein Instrument muss man „lieb gewinnen“ bevor man es kauft, wissen Musiker zu berichten. Es soll nun gar nicht weiter auf Details eingegangen werden. Die wichtige Botschaft die hinter diesen Ausführungen steckt, ist: Unter Umständen ist es unnötig kostentreibend zum Beispiel einen 24x7 Telefonservice anzubieten, wenn nicht exakt bekannt ist, dass der Kunde diesen auch tatsächlich wünscht und der Befriedigung dieses Bedürfnisses auch einen entsprechend hohen Wert beimisst. Will heißen: Nur wer seinen Kunden wirklich kennt, ist in der Lage, sein Budget auch am effektivsten einzusetzen. Damit ist das Customer First-Paradigma zumindest nicht immer direkt mit hohen Investitionssummen verbunden.

Customer First und Digitalisierung
Das Customer First-Paradigma hat sicher im Kontext der Digitalisierung an Bedeutung gewonnen, weil durch die digitale Welt Unternehmen viel leichter vergleichbar geworden sind als früher. Wie das Beispiel der Wohnanhängerversicherung zeigte, ist die Digitalisierung nicht selten geeignet, die Customer Experience entscheidend zu verbessern. „Alexa, versichere bitte unseren neuen Wohnwagen wieder mit den gleichen Parametern bei der bisherigen Versicherung“. Alexa stellt noch ein paar Fragen, die wir beantworten und los geht es. Die dafür notwendige Technik funktioniert schon heute zumindest in Teilen. In wenigen Jahren wird sie so weit sein, dass sie vollständig und auch für den normalen Benutzer funktioniert. Aber nicht immer ist die Digitalisierung oder eine Technologie die Antwort auf die Frage, wie die Customer Experience im Sinne des Customer First-Paradigmas verbessert werden kann. Dies ist zwar häufig der Fall, aber oft liegen die Antworten auch in ganz anderen Bereichen. Genau deshalb ist es wichtig, die Entwicklung der Möglichkeiten im Blick zu behalten und sie immer wieder anhand des Wissens über die Kunden zu bewerten.

Fazit
Die effektive und effiziente Umsetzung des Customer First-Paradigmas in der Praxis erfordert im Kern Zweierlei: ein hohes Maß an Wissen des Unternehmens über seine Kunden und die nötige Entschlossenheit, dieses Wissen über den Kunden und seine Bedürfnisse entgegen mancher Widerstände zu nutzen. Dies aber natürlich nicht völlig ohne jegliche ROI-Berechnung oder -Estimation. Aktuell populäre Methoden wie Design Thinking helfen dabei, das notwendige Wissen über die Kunden und ihre Bedürfnisse zu ermitteln, sofern sie nicht durch unüberlegte Optimierungen „verkrüppelt“ werden. Gerade für den Kundenservice als einen der wichtigsten Ansprechpartner für die Kunden, ist es entscheidend, den Kunden und wie er „tickt“ genau zu kennen. So lassen sich die Budgets effektiv einsetzen und so lässt sich die Customer Experience sukzessive verbessern, wenn dies mit der gebotenen Entschlossenheit getan wird. Die Möglichkeiten der Digitalisierung helfen immens bei der Umsetzung des Customer First-Paradigmas. Aber die Digitalisierung liefert nicht die Antworten für alles. Customer First ist primär ein Mindset, dem sich ein Unternehmen verschreiben muss.

Unser Autor:
Thomas J. Schwenk ist gelernter Wirtschaftsinformatiker und hat seit Anfang der 90er-Jahre eine Vielzahl an IT-Projekten in Fach- und Führungspositionen erfolgreich gestaltet. Er ist begeisterter Design Thinker und bringt neben seiner umfangreichen IT- und Management-Erfahrung auch dieses Know-how in seine Aufgabe als Executive Digital Strategist bei unymira mit ein.

Über unymira:
Unymira  ist der Experte für den Digitalen Wandel von Unternehmen und die Digitalisierung entlang der gesamten Customer Journey. Unsere Leistungen und Customer Service-Produkte sind nahtlos und einzigartig aufeinander abgestimmt. Wir beraten, designen und liefern innovative Omni-Channel Digital-Plattformen und Customer Service Software, einfach aus einer Hand und damit effizient. Damit vereinfachen wir anspruchsvolle Digital-Projekte und führen sie zum Erfolg. Und schaffen seit mehr als 20 Jahren begeisternde Kundenerlebnisse, die wirtschaftlichen Nutzen erzeugen.

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