CallCenter Profi

Interview: Wie Amazon Echo und Google Home den Kundenservice verändern

 – Alexander Jünger

Über digitale Sprachassistenten wie Amazon Echo und Google Home, und wie diese nützlichen Helfer den Kundenservice verändern können, sprachen wir mit Dr. Lupo Pape, CEO bei SemanticEdge.

CallCenterProfi: Herr Pape, auf dem "Zukunftskongress 2008" in Halle sagten Sie in einem Vortrag zum Thema Spracherkennung, dass in zehn Jahren 30 bis 40 Prozent der Kundenservice-Prozesse automatisiert ablaufen werden. Die Vorqualifikationsquote prognostizierten Sie mit "nahezu 100 Prozent". In zwölf Monaten sind diese zehn Jahre vergangen. Mit Blick zurück: Wie klar war Ihre Glaskugel damals?

Pape: Die Prognosen waren tendenziell richtig: die Spracherkennung hat sich in den letzten Jahren stark verbessert. Fast alle großen Telekommunikationsanbieter arbeiten in der Zwischenzeit mit Sprachportalen und einer offenen Einstiegsfrage. Bei den Banken hat sich das natürlich-sprachliche Telefonbanking mit vielen automatisierten Standardprozessen wie Kontostands- und Umsatzansagen, der fallabschließenden Überweisung im Dialog sowie weiteren den häufig genutzten Services PIN-Änderung, Kartensperre etc. etabliert. Ungenutzte Potenziale gibt es hier noch in der Filialtelefonie. Und auch bei den Versicherungen gibt es einen klaren Trend, durch die natürlich-sprachliche Vorqualifikation die Prozesse im telefonischen Kundenservice zu optimieren.

Das gleiche gilt für die großen Energieversorger und Versorgungsnetzbetreiber bei denen beispielsweise "Innogy/RWE" und Vattenfall bereits ein NLU (Natural Language Understanding)-Portal betreiben. Zuletzt hat die "Westnetz", der größte Verteilnetzbetreiber in Deutschland, der 7,5 Millionen Menschen mit Strom und Gas versorgt, an die 200 Rufnummern zu einer zentralen Hotline mit einem natürlich-sprachlichen Voice Portal zusammengelegt. Über ein statistisches Sprachmodell und ein komplexes Interpretationsmodell können 95 Prozent der Anliegen korrekt erkannt, interpretiert und gezielt an sehr unterschiedliche Skillgruppen im zentralen und regionalen Kundenservice weitergleitet werden.

Der Trend in Richtung Vorqualifikation der Anrufer und Automatisierung von Standardprozessen im natürlich-sprachlichen Dialog wird sich in allen Branchen mit deutlich zunehmender Geschwindigkeit fortsetzen, stark motiviert durch den Gesinnungswandel den "Amazon Echo" & Co. bei Kunden und den Entscheidern in den Unternehmen auslösen.

CallCenterProfi: Personal Assistants mit Sprachinterface, also die Siris, Cortanas und Alexas dieser Welt, nutzen in erster Linie dem Endkunden. Neuen Erhebungen zufolge steigt die Nutzungsintensität, aufgrund positiver Erfahrungen bei den Anwendern, stark an. Was bedeutet das für die Call Center?

Pape: Mit dem Amazon Echo und dem Google Home rücken auch die Spracherkennung und der natürlich-sprachliche Dialog ins Zentrum des User-Interfaces zwischen den Menschen und den Endgeräten. Die Digitalen Assistenten werden schon bald in fast allen „Computing Devices“ zu Hause ansprechbar sein, dazu zählen neben den Lautsprechern auch Fernseher, Radios und einige Küchengeräte.

Der Amazon Echo und der Google Home sowie alle weiteren angekündigten oder zu erwartenden so genannten „Voice 1st-Devices“  werden auch eine Telefonfunktion erhalten. Das wird Auswirkungen auf die Kundenschnittstelle der Unternehmen haben. Unsere Hypothesen dazu sind:

  • Wenn man von überall zu Hause und jederzeit auf Zuruf wird telefonieren können, dann wird das Callvolumen im Kundenservice wieder deutlich ansteigen, es sei denn Automatisierungen im Sprachdialog werden rechtzeitig geplant.
  • Wenn zuhause 95 Prozent der „Computing Devices“ keine Tastatur, dafür aber ein Mikrofon und einen Lautsprecher haben werden, wird der Voicechat den Textchat klar dominieren.
  • Im Voicechat oder Sprachdialog werden sehr viele Kundenservicefragen mit Zugriff auf die Backend-Systeme personalisiert und fallabschließend beantwortet werden können.
  • Vermutlich wird sich das E-Mail-Aufkommen deutlich verringern.
  • Weil sich die Nutzer an das Voice 1st-UI gewöhnen werden und weil damit die Navigation viel schneller und kundenfreundlicher geht, wird dieser Trend auch an den Webseiten und Apps nicht ungeschehen vorbeigehen.

Callcenter werden sich auf einen veränderten Kanalmix und einen deutlich steigenden Anteil automatisierter Services einstellen müssen.

CallCenterProfi: Zurück zur Eingangsfrage und der viel zitierten Glaskugel: Wie sieht Ihrer Ansicht nach der Kundenservice in zehn Jahren aus? Und welche Rolle wird Spracherkennung und -verarbeitung spielen?

Pape: Die sprechenden, mit viel künstlicher Intelligenz ausgestatteten, digitalen Assistenten sind ein Megatrend, der unser Leben in den nächsten Jahren noch viel nachhaltiger verändern wird, als es die Smartphones und Apps in den letzten zehn Jahren getan haben. Auch der Kundenservice wird davon betroffen sein. Mit der Möglichkeit Echo & Co. überall und jederzeit zu jeder Wissensfrage, für die Unterhaltung, zur Steuerung des Smart Home aber auch zum Shopping von Produkten und Services ansprechen zu können, werden auch die Erwartungen und Anforderungen an die nachgelagerten Prozesse steigen. Waren, die man auf Zuruf bestellen kann, erwartet man auch schneller geliefert. Wünsche und Probleme, die den Kundenservice betreffen, erwartet man sofort adressiert und schnellstmöglich bedient.

Das effizienteste User-Interface für die meisten Services ist der Sprachdialog ob zwischen Mensch und Mensch oder Mensch und Maschine. Im Kundenservice wird es unserer Einschätzung nach in den nächsten zehn Jahren daher um eine sehr enge Verzahnung von Mensch und Maschine, von im Dialog automatisierten Services und hochqualifizierter und personalisierter menschlicher Beratung gehen. Technologien wie Big Data-Analytics, Deep-Learning und Prediction werden es ermöglichen, Kundenanliegen viel präziser vorauszuahnen und damit entweder gleich zu vermeiden oder möglichst personalisiert zu behandeln. Es wird also extrem wichtig für Unternehmen sein, sich nicht nur mit Text-Chatbots sondern insbesondere auch mit sprachgesteuerten digitalen Assistenten zu beschäftigen. Eine zentrale Dialogintelligenz, die beides gleich gut beherrscht, wird es vielleicht in zehn Jahren nicht jedoch mittelfristig geben. Dazu sind die Anliegenäußerungen, das Interaktionsverhalten und die Dialogstrategien zu unterschiedlich.

Jedes Unternehmen muss sich fragen, wie es seine Produkte und Services und seine Marke auf den neuen Plattformen der Digital Assistants mit einem  „Conversational/Voice 1st-UI“ positioniert. Early Mover werden wie immer am meisten profitieren. Das beste Lernumfeld, der beste Einstieg für Unternehmen, um sich mit dem Conversational User-Interface vertraut zu machen, ist die offene Einstiegsfrage in der zentralen Hotline und die natürlich-sprachliche IVR. Hier gibt es hohe Nutzerzahlen im natürlich-sprachlichen Dialog und echte Kunden mit echten Anliegen. Hier wird sehr schnell ein Businesscase generiert und die Sprachmodelle sowie Automatisierungs- und Personalisierungsansätze können auf die neuen Kanäle übertragen werden.

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