CallCenter Profi

Spiegel-Online unterstützt schlechten Ruf von Call Centern

 – Jessica Hamburger

In der vergangenen Woche hat Spiegel-Online erneut einen sehr negativen Bericht über die Call Center Branche veröffentlicht. Darin wird das Arbeitsumfeld in Call Centern mit einer Galeere verglichen, auf der viele Sklaven unter strenger Aufsicht gegängelt werden.

Mit solchen Äußerungen sowie mit einer überzogenen Story von Call Centern im Knast und einem abschreckenden Erfahrungsbericht eines Anrufers unterstützt Spiegel-Online den negativen Ruf, der den Call Centern ohnehin noch immer anhängt. Lesen Sie doch einfach selbst und bilden Sie sich eine Meinung über die "objektive" Berichterstattung bei Spiegel-Online.

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Spiegel-Online vom 24. Juli 2006:

Galeerenschafe hinter Gittern

Callcenter haben einen miesen Ruf. In Deutschland will man dem mit einem eigenen Ausbildungsgang entgegenwirken, in den USA schlägt ein Telefonmitschnitt Wellen - und in Italien wird künftig auch aus dem Knast heraus professionell telefoniert.

Die sich aufdrängenden Bilder stammen aus Sandalenfilmen aus den Fünfzigern: vornübergebeugte, schwitzende Galeerensklaven, dahinter ein Aufseher mit flinker Peitsche. Unmenschliche Arbeitszeiten, gnadenlose Vorgesetzte, miese Bezahlung. Undankbare Kundschaft.

Gewerkschafter benutzen im Zusammenhang mit Callcentern Begriffe wie "desaströse Arbeitsbedingungen", Anrufer Worte wie "Warteschleifenhölle", Betreiber fast lyrisch anmutende Komposita wie "Kommunikationskompetenz". Der "Stern" entdeckte an dem so enorm gegenwärtigen Arbeitsplatz dagegen "Parallelen zur Massentierhaltung". Die Arbeitsweise der Telefonarbeiter verglich er mit der von "Legehennen in der Legebatterie".

Überall schwarze Schafe

Tiervergleiche sind im Zusammenhang mit Hotlines generell populär. Besonders häufig werden die Einrichtungen, die doch den globalen Dienstleistungsarbeitsmarkt ganz neu erschaffen sollen, mit Schafen verglichen. Wollige, freundliche, und vor allem weiße Schafe sind die meisten offenbar. Obwohl es natürlich, wie etwa der Vorstandsvorsitzende des Callcenter-Dienstleisters SNT, Harry Wassermann, dem "Tagesspiegel" sagte, "schwarze Schafe gibt".

Der Marketingchef des Branchenverbands Arbeitsgemeinschaft Berliner und Brandenburger Callcenter zur "Märkischen Allgemeinen": "Natürlich gibt es schwarze Schafe." Der Deutsche Direktmarketing Verband: "Einige schwarze Schafe ruinieren den Ruf der Branche."

Eigentlich meinten alle drei vermutlich eher die Hirten, beziehungsweise die Hühnerhofbetreiber, unter deren Knute das eine oder andere Galereenschaf bzw. Telehuhn leiden muss. Die so Geknechteten wiederum verhärtet der Druck von oben offenbar zunehmend. Der Job sei deshalb so schwer, sagte ein Arbeitspsychologe einmal der "Welt", weil er es erfordere "freundlich zu sein, Kritik wegzustecken und nicht persönlich zu werden, obwohl die eigenen Gefühle auf Aggression und Widerwillen stehen".

In Deutschland werden ab dem kommenden Herbst übrigens erstmals Menschen professionell auf diese Anforderungen vorbereitet, ab dann kann man hierzulande "Servicekraft für Dialogmarketing" (Ausbildungsdauer: zwei Jahre) oder "Kaufmann/-frau für Dialogmarketing" werden (drei Jahre).

Mit einem vermutlich nicht ausgebildeten schwarzen Schaf innerhalb einer nach Unternehmensangaben ansonsten wollig weißen Herde telefonierte Mitte Juli der US-Amerikaner Vincent Ferrari. Beim Internetanbieter AOL rief er an, um zunächst eine Weile sonniger Wartschleifenmusik zu lauschen und dann, bereits völlig entspannt, einem Hotline-Mitarbeiter seinen Wunsch nach Vertragskündigung zu übermitteln. "Warum?", fragte der junge Mann am Telefon, und Ferrari machte den Fehler, ihm zu antworten. Es folgte eine kleine Lektion in Sachen Aggression und Widerwillen.

Im Verlauf der viele Minuten langen Debatte bat der - womöglich von desaströsen Arbeitsbedingungen? - zum Äußersten getriebene Telefondienstleister unter anderem, einmal mit dem Papa des 30-jährigen Ferrari sprechen zu dürfen. Dann drohte er ihm, er könne ihn "hier den ganzen Tag aufhalten", wenn er sich nicht noch ein bisschen aus einer Marketingbroschüre vorlesen lasse.

Ferrari stellte einen Mitschnitt des kafkaesken Telefonats online und wurde zu einem kleinen Star. In mehreren Fernsehsendungen trat er auf, als Fahnenträger der Galeerenschaf-Geschädigten. Callcenter-Vergrätzte in der ganzen Welt gratulierten ihm zur Dokumentation ihres gemeinsamen Leides.

Mafiosi am Telefon

Vincent Ferrari hat offenbar keine Angst - obwohl er das schwarze Schaf den Job gekostet hat. AOL hat seinetwegen sogar die Handlungsanweisungen für Telefonagenten geändert.

Auch in Europa tut sich einiges. Das jüngste Callcenter der Telecom Italia (TI) befindet sich zum Beispiel in Rebibbia, dem größten Gefängnis Roms. "Es ist gut, weil die Leute nicht wissen, wer wir sind", sagte Gianluca Descenzo, der wegen einer Mordtat im Zusammenhang mit Drogenhandel einsitzt, zur Nachrichtenagentur Reuters, man fühle sich "nicht mehr wie im Ghetto".

Aus dem Gefängnis hinaustelefonieren können die Häftlinge nicht - trotzdem wäre Vincent Ferrari womöglich weniger forsch gewesen, hätte er einen Mafioso im Schafspelz am anderen Ende der Leitung vermuten müssen. Stichwort Aggression und Widerwillen.

Ob man einen Häftling in der TI-Anrufbatterie an den Hörer bekommt, wenn man die Auskunft anruft, ist Glückssache: Ein Computer wählt für jeden Anrufer zufällig eins von 45 Callcentern aus. TI-Chef Tronchetti Provera, den die eingesperrten Telefonagenten nur 20 bis 25 Euro Lohn am Tag kosten, gratulierte sich selbst und seinen Galeerenschafen. Die "in Europa einzigartige Initiative" - in den USA ist Telefonieren als Knastjob schon Usus - könne den Häftlingen "Berufserfahrung für die Zeit nach dem Gefängnis" verschaffen.

Der 34-jährige Salvatore Striano, laut Reuters verurteilt für "Mafia-Verbrechen", fügt hinzu, die Arbeit gebe "dem Leben einen Sinn", auch wenn andere sie vielleicht als "langweiligen Routinejob" betrachten würden. Der italienische Justizminister sagte, Gefängnisse müssten "keine ständige Hölle sein", es dürfe dort "nicht nur um Strafe" gehen.

Auch die Galeerenbetreiber in Mittelalter und früher Neuzeit betrachteten die Jobs an Bord übrigens als eine Art Resozialisierungsmaßnahme: Manche Ruderer kamen nach einigen Jahren wieder frei.

 

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