CallCenter Profi

Interview: "Ich glaube nicht, dass ein Gütesiegel allein alle Probleme löst"

 – Alexander Jünger

Über die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für Call Center-Mitarbeiter sprachen wir mit René Wilke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender „Die Linke“ im Potsdamer Landtag.

CallCenterProfi: Herr Wilke, der Ausschuss für Arbeit des Parlaments hat sich mit der Situation in brandenburgischen Call Centern befasst. Wie ist die Lage aus Ihrer Sicht?
Wilke: Die Lage ist sehr angespannt. Das habe ich bei meinen Besuchen in den Unternehmen immer wieder erlebt. Laut einer Studie der Viadrina School of Management, die auch Gegenstand im Ausschuss war, sind gerade mal 0,8 Prozent der Beschäftigten in Call Centern mit ihrer Arbeit und der Entlohnung zufrieden. 91 Prozent empfinden ihre Situation als „belastend“ oder „sehr belastend“. In Österreich dagegen sind über 80 Prozent zufrieden und sehr zufrieden. Das zeigt, dass hierzulande in Sachen Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz noch viel Luft nach oben ist.

CallCenterProfi: In der Lokalpresse werden Sie zitiert mit den Worten, viele Call Center-Mitarbeiter hätten „keinen Traumjob“ und die Call Center stünden „doppelt unter Druck“. Wie meinen Sie das?
Wilke: Auftraggeber erwarten von Call Centern eine gute Qualität zu möglichst niedrigem Preis. Gute Qualität erfordert qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Qualifizierte Beschäftigte erwarten zu Recht eine angemessene Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Der Bedarf an guten Arbeitskräften wächst, für diese gibt es aber zunehmend Job-Alternativen. In einer Branche, die jederzeit an jedem Ort eine Filiale eröffnen, aber auch kurzfristig wieder schließen kann, ist der Konkurrenzkampf besonders hoch. Das macht den doppelten Druck für Call Center aus. Denn diejenigen, die sich um bessere Bedingungen bemühen, haben einen Wettbewerbsnachteil, sind nicht mehr so günstig wie jene, die das nicht tun. Letztlich wird dieser Druck an die Beschäftigten weitergegeben. Sie müssen immer effektiver arbeiten, in möglichst kurzer Zeit, viele Kundengespräche führen. Das wirkt sich natürlich auch auf den Gesundheitszustand aus. In keiner anderen Branche ist der Krankenstand so hoch. Dass es sich daher für viele nicht gerade um einen „Traumjob“ handelt, ist offenkundig. Auch deshalb ist die Fluktuation in vielen Call Centern so hoch.

CallCenterProfi: Um die Arbeitsbedingungen in Call Centern zu verbessern, schlug Ihre Fraktion eine Art Gütesiegel für „gute Arbeit“ vor. Eine Zertifizierung, die auch auf Landesebene umgesetzt werden könnte. Was versprechen Sie sich davon?
Wilke: Ich glaube nicht, dass ein Gütesiegel allein alle Probleme löst. Aber ich sehe uns als Linksfraktion im Landtag in der Verantwortung, im Rahmen unserer Möglichkeiten, etwas für die 20 000 Beschäftigten in Brandenburg zu tun. Und ich halte es für richtig, dass all jene Call Center-Betreiber belohnt werden, die sich um gute Arbeitsbedingungen und Bezahlung mühen, aber dadurch derzeit Wettbewerbsnachteile erleiden. Zertifizierungen beziehungsweise Gütesiegel sind auch in Österreich einer von mehreren Bausteinen, die sich bewährt haben. Dort haben sie zur Angleichung der Mindest-Arbeitsbedingungen auf deutlich höherem Niveau beigetragen. Das sichert Fachkräfte, Zufriedenheit und Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und hilft damit durch bessere Arbeitsqualität auch der Kundschaft und damit letztlich allen Beteiligten. Über eine europaweite Regelung wird schon seit Längerem diskutiert. Darauf warten können wir aber nicht. Ich werbe dafür, dass wir eigenständig Impulse setzen und damit auch den Handlungsdruck deutlich machen. Wir müssen wegkommen vom Kampf um den niedrigsten Preis, hin zum Wettbewerb um die beste Qualität. Ein anderer Baustein wäre die Gründung eines Arbeitgeberverbandes der Call Center-Branche als Voraussetzung für die Entwicklung eines Branchentarifvertrages.

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